Leistungsstarke Teilchenbeschleuniger in Satellitengalaxie der Milchstraße entdeckt

Aus direkten Beobachtungen wissen wir, dass es in unserer Galaxie, der Milchstraße, Quellen von kosmischer Strahlung mit Energien von bis zu einigen hundert Peta-Elektronenvolt (1015 eV) geben muss. Die Beschleunigung von Atomkernen auf solch hohe Energien erfordert sehr spezielle astrophysikalische Umgebungen. Massereiche junge Sternhaufen – kompakte Ansammlungen von Sternen mit Massen von einigen zehn bis hundert Sonnenmassen – gelten als ausgezeichnete Kandidaten, eine solche Umgebung darzustellen.

Tatsächlich ist es bereits vor zwei Jahren gelungen, den massereichsten jungen Sternhaufen in der Milchstraße, Westerlund 1, als leistungsstarken kosmischen Beschleuniger zu identifizieren. Nun konnten Forschende am Max-Planck-Institut für Kernphysik mithilfe des Gammastrahlen-Observatoriums H.E.S.S. einen weiteren Sternhaufen – mit der Bezeichnung R136 – als Quelle kosmischer Strahlung ausmachen. “Außergewöhnlich an unserer Entdeckung ist, dass sich R136 in der Großen Magellanschen Wolke befindet, und damit etwa zehnmal weiter von uns entfernt als Westerlund 1”, erläutert Lars Mohrmann, Leiter der H.E.S.S.-Gruppe am MPIK und Hauptautor der neuen Studie. Die mit dem Sternhaufen in Verbindung gebrachte neue Gammastrahlenquelle bekommt nun den Namen “HESS J0538– 691”.

Eine große Herausforderung bei der Analyse der Daten lag darin, dass HESS J0538–691 sehr nah an der bereits bekannten Gammastrahlenquelle HESS J0537–691 liegt. Diese mit dem Pulsarwindnebel N 157B in Verbindung stehende Quelle ist wesentlich heller als HESS J0538– 691 und überdeckt die neue Quelle teilweise (siehe das mittlere Bild in Abb. 1). Erst durch eine sorgfältige Modellierung der Gammastrahlenemission war es möglich, das Signal von HESS J0537–691 zu subtrahieren und die neuentdeckte Quelle so sichtbar zu machen (unteres Bild in Abb. 1). Ebenfalls in der Abbildung zu sehen ist eine weitere Gammastrahlenquelle mit der Bezeichnung HESS J0535–691. Diese ebenfalls mit einem massereichen Sternhaufen names LH 90 in Verbindung gebrachte Quelle war bereits bekannt, konnte durch die neue Analyse aber weitergehender untersucht werden.

Beide Quellen leuchten außergewöhnlich hell im Gammastrahlenbereich – sie sind mehr als doppelt so leuchtstark wie Westerlund 1, immerhin der massereichste junge Sternhaufen in unserer Galaxie. Eine weitere interessante Erkenntnis ist, dass die Gammastrahlenemission beider Quellen ausgedehnt ist, mit einem Radius von jeweils etwa 100 Lichtjahren. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Beschleunigung der kosmischen Strahlung mit dem kollektiven Wind in Verbindung steht, welcher sich als Überlagerung der individuellen Sternwinde um den Sternhaufen herum bildet. Durch den kollektiven Wind entstehen Schockwellen, an denen Teilchen beschleunigt werden können. Außerdem formt der Wind eine "Superblase", also einen Hohlraum im interstellaren Medium, deren erwartete Größe ungefähr mit der Ausdehnung der Gammastrahlenemission übereinstimmt. In der Studie diskutieren die Autoren mögliche Prozesse, welche die Beschleunigung der kosmischen Strahlung und damit den Ursprung der Gammastrahlung erklären können.

Der Nachweis von Gammastrahlung von zwei massereichen jungen Sternhaufen in der Großen Magellanschen Wolke unterstützt die Hypothese, dass diese Objekte maßgeblich zum Fluß der hochenergetischen kosmischen Strahlung beitragen, und stellt eine große Motivation dar, nach Gammastrahlenemission von weiteren Sternhaufen in der Milchstraße zu suchen.


Originalpublikation:

Very-high-energy γ-ray emission from young massive star clusters in the Large Magellanic Cloud, F. Aharonian et al. (H.E.S.S. Collaboration), Astrophysical Journal Letters 970, L21, accepted (2024). DOI: https://doi.org/10.3847/2041-8213/ad5e67


Weblinks:

Website H.E.S.S.-Experiment

https://www.aanda.org/articles/aa/abs/2022/10/aa44323-22/aa44323-22.html

Kontakt

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Im oberen Bild sind die Sternhaufen R136 und LH 90 sowie der Pulsarwindnebel N 157B markiert. Das zweite Bild zeigt überlagert die mit H.E.S.S. gemessene Gammastrahlenemission, sowie die Position der hellsten Quelle HESS J0537–691. Für das dritte Bild wurde die Emission dieser Quelle subtrahiert, sodass die beiden weiteren Quellen HESS J0538–691 und HESS J0535–691 sichtbar werden. Credit Hintergrundbild: ESO; https://www.eso. org/public/images/eso1816a. Credit Gammastrahlenbild: H.E.S.S. Collaboration.